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Die Erinnerung an Tod

 

ein Monolog

Während ich Radio hörte, zog plötzlich eine Geschichte, die der Ansager erzählte, meine Aufmerksamkeit auf sich. Es ging um einen Verkehrsunfall wie ich ihn vor einigen Tage erlebt hatte.

Es war direkt vor meinen Augen an einer Bushaltestelle passiert. Ich hatte sofort zum Telefon gegriffen, um die 911 anzurufen, aber irgendwie stoppte mich irgendetwas  und ich wartete einen Moment und beobachtete die anderen 50 Zeugen. Während ich mich nicht entscheiden konnte, hatte schon jemand 911 angerufen. All die Zeugen und ich selbst konnten nichts anderes tun als mit Beklemmung auf die Frau zu blicken, die unter dem Bus lag.

Der Gedanke, dass es größere Probleme bedeuten kann, wenn wir uns entscheiden, in den Unfall einbezogen zu werden, kann uns von solchen Anrufen abhalten und unseren Geist und Körper blockieren. Auf dem Heimweg mit dem Bus fühlte ich heftige Aufregung und spürte starkes Herzklopfen, weil ich nicht vor Ort geblieben war bis alles geregelt war. Dann plapperte ein Mann „Du kannst Dich nicht einmischen in solchen Situationen. Man wird schnell ein Opfer, wenn man sich die ganze Verantwortlichkeit  anlastet...", wie ein besonders erfahrener Mensch bzw. um seine heldenhaften Stories zu verbreiten. Mir stiegen die Tränen in die Augen als wir die Unglückstelle hinter uns ließen...

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Im Winter des ersten Jahres in der Grundschule hatte meine Familie große finanzielle Probleme.  Unsere Behausung  in einem Untergeschoss  bleibt mir als Maßstab für den Grad von Armut bzw. Wohlstand. In der Weihnachtsnacht dieses Jahres verlor ich meine beiden Schwestern in dem feuchten und kalten Gemäuer. Es ist noch lebendig in meiner Erinnerung. Ich habe es damals nicht vollständig verstanden, was der Verlust von Familienangehörigen bedeutet. Mit dem Verblassen der Erinnerung an ihre Gegenwart wurde die Sehnsucht nach ihnen geringer.

Jede Lücke in dem Kellergeschoss waren bedeckt/abgedichtet mit grünem Klebeband, um zu verhindern, dass Zug aufkam. Das grüne Klebeband wurde die einzige visuelle Erinnerung an den muffigen Raum.

Entsprechend der Erinnerung an meine Kindheit, war das grüne Band  immer so etwas wie eine Sicherung für viele Momente des Lebens; nicht nur für zerbrochene Fenster,  sondern auch für eingerissenen PVC-Bodenbelag oder die Verbindung von verrauchten Röhren der Raumheizung und ebenso für die Buchdeckel der Bücher, die mein Vater las. Grünes Klebeband bedeutet so etwas  wie ein Hilfsmittel zum Schutz und zur Abschirmung.

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Das grüne Klebeband aus der Behausung, in der ich meine beiden Schwestern verloren hatte, kam mir später wieder in den Sinn und gab mir den sonderbaren Impuls,  dass ich den Körper der Frau, die den Autounfall hatte, mit grünem Klebeband bedecken möge.

Die Stimme  im Radio lieferte mir die Geschichte vom Tod der Frau und ließ mich zurück mit weiteren traurigen Erinnerungen.  Ich merkte mir eine Reihe von seltsamen Dingen nach dem Unfall an der Bushaltestelle. Eines war der Polizist, der die Aufreihung der Busse auf der Strasse kontrollierte und das andere war die gesprühte weiße Markierung, die den Umriss der toten Frau auf der Strasse liegend anzeigte. Wenn die weiße Markierung des Unfalltoten verschwindet, werden die Leute den schrecklichen Moment vergessen, bis zum nächsten Unfall.

Wir werden nie wissen, wann uns der eigene Tod trifft. In irgendeinem Sinne sind wir alle „weiße Markierungen eines Verkehrsunfalls". Egal wie schrecklich es ist, das zu erfassen, aber es mag verdeutlichen  „wer wir sind".  (im Februar 1999, Kim, Nam Hoon)

 

 

 

 

 

 

 

 

Zum „Verschwinden“ (Zum „Vergehen“)

 

Das Word „Verschwinden" kreist in meinem Kopf herum mit einem leichten Gefühl von einer Reihe von wehenden Frauenröcken an einem Mittsommertag.  Nicht nur, dass ich keine Kontrolle über das „Verschwinden" habe, sondern ich denke auch, dass das beabsichtigte „Verschwinden" unnatürlich ist. Ebenso wie es Gründe für das Verschwinden vorhanden sind, so muss auch die neue Existenz ihre eigenen Ursachen haben.

Der Grund, warum ich jetzt über „Verschwinden" rede, ist das Restaurations-Projekt Chunggye Cheon, welches einige Kontroversen hervorbrachte auf seinem Weg der Zerstörung von Wegen, Architektur und Umwelt des eng verbundenen Lebensbereichs.

Kann die Verärgerung über etwas was verschwindet als eine Art von Ausdruck einer Zuneigung/Rührung gesehen werden?   Ich habe die gleiche Frage gestellt als ich von der Bewahrung und Restauration nationaler Kulturschätze hörte. Es ist immer schwer, das Maß der Wertschätzung zu finden für etwas das einem anderen Kontext von Zeit und Raum als dem eigenen entstammt. Das heißt nicht, dass ich die Existenz trivialisieren will. Bei mir ist der Wunsch größer, etwas Bedeutungsvolles aus dem gegenwärtigen Kontext heraus zu finden. Und um Bedeutung zu haben, mag es notwendig sein, dass solche Artefakte sich in ihrer Qualität ändern und auch einen Verfall zeigen. Ich hoffe, dass solche Entwicklungsprojekte wie das Chunggye Cheon Restaurierungsprojekt darauf zielen, nicht zu zerstören, sondern wiederzubeleben. Wenn dieses Projekt so gefasst wird, die Lebensgrundlagen zu verbessern, sollte es nicht ausgeführt werden als schneide es faule Teile aus einer Frucht, sondern so als wolle man ein verschmutztes Gebiet in eine umweltfreundliche Umgebung verwandeln.

Das Projekt, welches ich hier realisierte, sollte beeindrucken mit einer temporären Geste der Liebkosung der Leerheit des Ortes, sobald das Verschwinden eingetreten war.

Ich hoffe, mein Werk verschwindet ebenso.

Wenn etwas verschwindet, lässt es unendliche Möglichkeiten zurück. Und grünes Klebeband zurück zu lassen, ist bezeugtes Verschwinden.

(People Walking on the water- Chunggye Cheon Project, 2003, Kim, Nam Hoon)

 

 

 

 

 

 

 

 

Seewasser Reservoir

 

Die erste Begegnung mit dieser alten Salzpfanne war ein Jahr zuvor, als ich in einer Nachbarstadt unterwegs war. Ich hatte begonnen, die Nachbarschaft zu erkunden und erfuhr, dass da eine alte Salzpfanne sei, die später mein Arbeitsgebiet werden sollte. Allein die Imagination, die von diesem Ort ausging, war faszinierend genug, um meine Neugierde weiter anzuregen. Als ich endlich mit etwas Rüstzeug für meine Arbeit zum Zugang eilte, war ich so aufgewühlt und nicht in der Lage, meinen Mund zu schließen: Ein immer weiter sich ausdehnendes Land, das aufgegeben wird!

Diese 200 Millionen Quadratmeter wüstes Land war, wenn ich eine Anspielung auf einen kommerziellen Film machen wollte, ein „no man's land so empty that only a gust of wind passes by", ausgenommen undeutliche Miethäuser an einer weit entfernten Ecke des Landes.   Ich ging durch das Gebiet, von dem man schwer  sagen kann, dass es schmutzig und schlammig ist mit all den weißen Blumen von Salzkristallen hier und dort.  Als ich die mannshohen trockenen Schilfbüsche entlang ging, grüßten mich Bündel sonderbarer wilder lila Pflanzen aus den Rissen der schwarzen kachelartigen Strukturen aus dem Abraum aus der Zeit, als der Platz noch betrieben wurde, um Salz zu machen.

Die ganzen Spuren, die die Leute hinterlassen hatten, waren Dutzende von Salz-Lagerhallen in einem elendigen Ambiente. Die Salzpfannen-Werkstätten waren leer und die Ausrüstung halb vergraben oder herausgerissen. Nur der Regen füllt dieses Reservoir statt des ursprünglichen Salzwassers. Es waren tatsächlich die Ruinen nach einer Schlacht , erinnernd an Filme wie „Mad Max".

Wie das Schicksal der Natur darauf beruht, dass der Mensch ihre Nützlichkeit begreift, die Natur zu einem Hafen für ein- und ausgehende Schiffe wird, so erfahren diese Salzpfannen ihren Abriss oder eine Neuentwicklung, wenn der Mensch die Brauchbarkeit wieder entdeckt. Nach David Attenborough, dem Autor von „Private Lives of the Plants", führen Pflanzen Tag und Nach ein sehr konkurrierendes Leben mit einer differenten Geschwindigkeit, die der Menschen nicht nachvollziehen kann; sie bewegen sich ohne Pause, kämpfen, vervielfältigen sich, verstecken sich vor ihren Feinden, nutzen die Vorteile ihrer Nachbarschaft und versuchen alles, um zu überleben. Ich entdeckte Einsiedlerkrebse,  Meerstrand-Gänsefüßchen, Suaeda Japonica, Diantus Japonicus (Nelkenart), eine Meeräsche (gray mullet), Javelin Goby (Strandgrundel) etc., zahlreiche wilde Pflanzen, Seegräser, Fische und Vögel, deren Überleben nur auf Sonnenlicht und Winde gestützt war.

Während die Menschen diesen Ort vergessen hatten, weil sie keinen Nutzen mehr sahen, sorgten diese kleinen Kreaturen für eine Rückgewinnung der Ruinen mit ihrer Fähigkeit zur Selbstheilung. Die Menschen mögen denken, dass sie ihren Überlebenswillen sichergestellt haben, indem sie das Seewasser in dem Reservoir erhalten haben. So lange wie die Menschen die Natur nicht so zerstören, dass deren Fähigkeit zur Selbstheilung erhalten werden kann, solange können diese kleinen Kreaturen überleben.  Wenn wir aber diesen Level überschreiten, wird die Natur nicht mehr in der Lage sein, diese verunreinigte Erde zu retten.

Was ich in dem Kontext tat, war eine Erkundung. Manchmal sammelte ich Zweige und Schilf, die von den vorbeifahrenden Autos auf die Strassen gepresst waren und nutzte sie,  um wieder einmal Sprühmarkierungen von Verkehrsunfällen zu schaffen. Manchmal entfernte ich Kacheln von Wänden, grub Fallen, und nahm die getrocknete Oberfläche von Morast aus Trockenzeiten, um Figuren zu formen. Diese mag man auch nennen: Vortäuschung menschlicher Aktivitäten dort. Ich möchte, dass beide, Mensch und Natur, in einer Koexistenz leben, in der die Fähigkeit zur Selbstheilung nicht verloren geht. Ich hoffe auch, dass ich meine Arbeit auf der Grenze zwischen ihnen zurücklasse. Nach dem Ablauf einer langen Zeitperiode, passen sich diese Hinterlassenschaften in die Natur ein und erfahren die Selbstheilung mit der Geschwindigkeit, die die Natur vorgibt. 

(Juli 2005, Kim, Nam Hoon)

 

P.S Diese Salzpfanne war vor langer Zeit mal ein Hafen, mit vielen ein- und auslaufenden Schiffen und einem großen Fischmarkt, den viele Leute besuchten. Durch die Japaner wurde er 1936 zur Salzpfanne und der geschäftige, laute Hafen verschwand. ...

Nun, nach 1996 war die Salzpfanne aufgegeben worden und kleinere Fischmärkte, touristische Nutzungen, Mietshäuser und kleine Fabriken entstanden.

Die Stadt Shihung unternimmt aktuelle erhebliche Anstrengungen, um ein 6,6 Millionen Quadratmeter große Gebiet wieder zu entwickeln.

 

 

 

 

 

 

 

Liebe uwoon,

 

Zunächst möchte ich sagen, das die inhaltlichen Angelegenheiten meiner Kunst sind:

Arbeitsbedingungen für die Masse der Leute,

nicht-produktive Arbeitsaktivitäten in Gegensatz zu Arbeit in einem modernistischen Sinn und das Nicht-Erzeugen von Mehrwert innerhalb eines ökonomischen Systems. Ich habe in die Ausstellung nicht direkt die Arbeit selbst als Thema einbezogen, weil es mir nur erlaubt war, auf meine Arbeit als Künstler zu fokussieren, die ja  nicht als Arbeit „per se" angesehen wird.

Mit Koreas Neigung zu Modernismen (bezogen auf wissenschaftlichen Fortschritt, Sicherung des Lebensunterhalts, „immer der Beste sein"),  erscheint die Arbeit eines Künstlers eher als „bedeutungslose" Geste.  Die Frage, die ich gewöhnliche von Vorbeigehenden gestellt bekomme, wenn ich außerhalb des Ateliers arbeite , ist „was machst Du da ?".  Obwohl es nur eine Angelegenheit von Sekunden ist, muss ich mit mir selbst kämpfen, um mit einer äußerst rücksichtvollen Stimme zu antworten. Dann sage ich „Ich mache Kunst". Dann schütteln die meisten Leute den Kopf und behandeln mich wie einen Sonderling. Es muss sehr schwer sein, meine Aktionen als Teil des Kunstschaffens zu begreifen. Für diese Leute muss das Bandagieren von Beton mit brandneuem Klebeband so aussehen wie ein enger Künstlerfreund es mal ausdrückte „nicht mal so viel wert, wie das Essen für einen Tag".

Was ist besser? Was ist produktiver? Wenn diese Momente, in welchen Gedanken wie diese meine Aktionen zu lediglich unbedeutenden Gesten machen, fühle ich Leere. Das bestimmt meine Arbeit im Kontext der Situation in Korea.

Immer weniger hat meine Kunst als materialistische Produktion herhalten können, bis hin zur Geschwindigkeit, logischerweise. Ich will versuchen, ihre Unvollständigkeit zu rechtfertigen. Meine Arbeit ist aus meinen sehr persönlichen Geschichten entwickelt.

Soziale Gestalt ist immanent im Individuum, dem „Ich", und meinen persönlichen und privaten Erzählungen. In anderen Worten, private Erfahrungen werden als soziale Erfahrungen unterstellt und verbreitet. Ich sammle Fotos von Sprühmarkierungen von Autounfällen. Ich erinnere mich an Momente,   die mir Wunden bewusst machen, die meinem Körper/Geist zugefügt wurden und die vergehen und Narben hinterlassen. Dann stelle ich hier und da Fallen auf, damit Kommunikation von jemandem ausgeht, in der Hoffnung, dass ich die offenen Wunden heile, ihnen Bedeutung gebe, Erinnerungen zurückrufe, und ich etwas transformiere in etwas anderes.

In dem Moment, in dem die Falle gefunden und bemerkt ist, werden die Betrachter und ich miteinander verbunden, mit dem gleichen Code. Es ist ok, wenn Du sie nur entdeckst, aber gleich vorbei gehst. Ich kann immer auf jemand anderen warten, der sich verbindet. In diesem Momenten der Verbindung, entsteht faktisch Produktion.  Bezüge zur Arbeit des Künstlers setzen, praktizieren und die Kunstwerke im Feld mit zeitgenössischem Kontext von Arbeit zurück zu lassen, würde ich gerne neu als Bedeutung von „Wert" auf den Prüfstand stellen.

(Okt. 2005 Kim, Nam Hoon)

 

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